Die Sonne, die abends die Gnade hatte, etwas auf uns am Slope Point zu scheinen, blieb leider die einzige. In der Früh geben wir dem Wettergott eine neue Chance uns zu zeigen, dass er auch anders kann. Aber anscheinend ist ihm einfach nicht danach. Am Parkplatz vor dem südlichsten Punkt der Südinsel weht der Wind so stark und es nieselt so unbarmherzig, dass wir keine Motivation in uns aufbringen die 20 Minuten zur Küste zu Fuß zu gehen. Und mehr, wir verspüren nicht einmal die Lust die Türe für ein Foto zu öffnen. Ich mache nur schnell eines von den von Wind und Wetter geprägten Bäumen, bevor wir in der Hoffnung auf bessere Aussichten weiterfahren.
In Invercargill gönnen wir uns eine längst notwendige Dusche für nur 1$. Manu und ich sind mittlerweile zu Schnäppchenjägerinnen mutiert, wie man sich vielleicht denken kann.
Ursprünglich war der Plan von Invercargill nach „Steward Island“ aufzubrechen, um dort eine mehrtägige Wanderung mit der Hoffnung auf eine Kiwi-Entdeckung zu unternehmen. Auf dieser Insel ist angeblich die Chance noch am höchsten, einen wilden Kiwi zu Gesicht zu bekommen. Aber auch hier macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Es regnet auf Steward Island leider genau so wie hier im Süden. So bleibt uns nur noch eine Richtung übrig: Die Westküste hinauf weiter in den Norden.
Wir verbringen die Nacht aber noch in der Nähe auf einem Gratiscampingplatz bevor wir uns zum „Gemstone Beach“ aufmachen, um dort auf unseren uns zustehenden Reichtum zu stoßen.
Bevor wir uns am Zielort aber auf Schatzsuche begeben, erklimmen wir noch die berühmte Affeninsel. Keine Affen, wir sind etwas enttäuscht.
Wir marschieren den Strand entlang und fühlen uns wie Entdecker. Wir durchwühlen Schwemmgut und Steinhaufen, aber die erhofften Edelsteine tauchen nicht auf. Vielleicht sollte man zuvor ein Gespräch mit einem Geologen oder einem Fachmann geführt haben, um gewisse wertvolle Steine auch erkennen zu können… Manche Steine in grün und weiß sehen zumindest ziemlich hübsch aus, aber sind sie edel genug?
Mir fällt der Fuchs des kleinen Prinzen ein.
„… Du bist für mich noch nichts als ein kleiner Junge, wie hunderttausend andere kleine Jungen. Und ich brauche dich nicht. Und du brauchst mich nicht. Ich bin für dich nur ein Fuchs, gleich hunderttausend anderen Fuchsen. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzigartig auf der Welt sein. Ich werde für dich einzigartig auf der Welt sein. …“ *
Gilt das nicht auch für die millionen Steine dir hier liegen? Wer schreibt eigentlich vor, welche Edelsteine und welche „normale“ sind? Sind nicht die Steine von besonderer Bedeutung, die mir gefallen? Dessen Farben mich am meisten ansprechen? Dessen Oberflächen ich am angenehmsten empfinden? Dessen unperfekte Einschlüsse für mich perfekt erscheinen?
Und ist das nicht bei allem so?
Wer schreibt vor, was zur Zeit angesagt ist? Wer setzt einen Modetrend in die Welt? Darf das nicht jeder selbst entscheiden?
„… Und den Menschen mangelt es an Phantasie. Sie wiederholen, was man ihnen sagt. …“ *
Haben wir die Fantasie verloren, unsere eigenen Trends und unsere eigene Welt zu schaffen? Und die, die es geschafft haben, wie können es sich dann nur andere erlauben, darüber zu urteilen?
Sind es denn nicht auch wir Reisende, wir, die „vor etwas weglaufen“, wir, die „die reale Welt nicht anerkennen wollen“ und wir, die „egal was wir suchen, DORT nicht finden werden“, gehören nicht auch wir zu der Gruppe an Menschen, die verstanden haben, dass es nicht nur um „Vorgekautes und Wiederholtes“ geht?
Wer bestimmt, welcher Weg der richtige ist? Darf das nicht jeder selbst entscheiden?
Haben nicht wir Reisende einen mutigen Weg gefunden, die ersten Schritte zu sich selbst zu gehen? Einen, die manche Leute nicht verstehen? Einen, den sich viele gar nicht zutrauen?
Befinden wir uns denn nicht alle am Gemstone-Beach, auf der Suche nach dem einen besonderen Stein, nach uns selbst?
Jeder einzelne von uns ist ein besondere Edelstein.
„… Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar! …“ *
Das meditative Suchen und Finden hat uns gut getan. Wir freuen uns, erkannt zu haben, dass alle Steine, die uns gefallen, Edelsteine sind. Manu und ich haben unseren uns zustehenden Schatz gefunden. Wir sind steinreich.
Am Abend scheint die Sonne auf den Strand. Alle kommen aus den Autos gelaufen und lachen sich an und freuen sich über die Wärme, die sie schenkt. Sie verabschiedet sich dann aber doch noch viel zu schnell und die Sterne beginnen zu funkeln. Abseits von Städten sind sie hier besonders schön!
„… Wenn du nachts zum Himmel schaust, wird es für dich sein, als lachen alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du wirst Sterne haben, die lachen können! …“ *
* Auszüge aus dem Buch „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry, Ausgabe von AuraBooks